Donnerstag, 14. Januar 2021

Kurzgeschichte: Gas - Szenen einer eskalierenden Ehe

Jochen und Uta sitzen in ihrem alten Renault Twingo. Uta sitzt am Steuer. Verzweifelt legt sie wieder den Rückwärtsgang ein und versucht das Fahrzeug rückwärts eine Auffahrt hinauf zu fahren.  

„Warum zum Kuckuck hat Jochen die blöde Karre hier unten geparkt“, denkt sie und würgt den Motor zum dritten Mal ab. Einen Meter vor dem Auto befindet sich das geschlossene Garagentor ihres geschiedenen Schwagers Uwe, den sie beide heute besucht hatten.  

Kaum hörbar seufzt Jochen und schaut demonstrativ aus dem Beifahrerfenster. „WAS?“, fragt Uta genervt.  Jochen dreht sich zu ihr: „ Nichts, Schatzi. Ich finde nur du lässt die Kupplung immer zu schnell kommen. Außerdem löst du die Handbremse zu langsam.“ Sein Tonfall hat etwas präventiv Entschuldigendes. Jochen weiß  genau, das er sich gerade auf sehr dünnem Eis bewegt. Uta ist sauer, merkbar. Sie kann es nicht haben, wenn sie etwas nicht hinbekommt und Jochen das merkt. „Ach, halt die Klappe. Du immer mit deiner Besserwisserei. Ich fahre mindestens genauso lange wie du. Also komm mir nicht mit so einem Mist. Diese ganze Karre ist Dreck. Damit kann man einfach nicht mehr fahren. 

Wie erwartet – Uta kommt in Rage. Während sie den Motor erneut anlässt und erneut anfährt, fährt auch ihr Tonfall hoch: „ Wie lange predige ich schon, dass wir endlich ein neues Auto brauchen. 20 Jahre Ehe, und wir fahren immer noch wie die allerletzten Hippies durch die Gegend.“  

Das Getriebe kracht. Der Motor verreckt. Jochens Kopf sinkt in seine Hände. „Weist du was? Ich steig aus!“, zischt sie Ihn an. „Fahr du die Karre da hoch. Du scheinst genau zu wissen wie das geht.“ Jochen schaut sie an:“ Schatzi…“ „Nichts Schatzi“, fährt Uta ihm über den Mund. „Mach einfach. Ich will nach Hause.“ Sie steigt aus und postiert sich mit verschränkten Armen zwei Meter neben der Fahrertür an der Mauer, welche die Abfahrt mit der tiefergelegenen Garagenmauer verbindet. Ihren Blick nennt Jochen schon seit langer Zeit „Die Hasskappe“. „Mein Gott, dieses Weib macht mich wahnsinnig. “, denkt er führ sich, während er umständlich auf die Fahrerseite rutsch.  „Alle drei Tage gibt’s  Gemecker, Flüche, ausgespuckte Unzufriedenheit“. Was konnte Jochen denn dafür, dass sie sich über all die Jahre kein größeres Auto leisten konnten.  Er buckelte sich den Rücken krumm als Lagerist. Und Utas Gehalt als Kassiererin war auch nicht grade ein großer Zugewinn. „Aber das darf ich natürlich nicht sagen“, murmelt er in sich hinein.   

„Was hast du schon wieder?“ wirft ihm Uta giftig zu. „Nichts! Sei einfach ruhig und lass mich machen“, sagt Jochen und sieht, wie sich ihre Augen zu Schlitzen verengen. Er tritt die Kupplung und startet den Motor, legt den Rückwärtsgang ein. Langsam lässt er die Kupplung kommen, löst die Handbremse. Der Motor heult auf , das Auto bockt und dann ist wieder Ruhe. „In Vorahnung dessen, was jetzt passieren wird, schaut er zu Uta. Er sieht ihr selbstgefälliges Grinsen, welches sich zu einem spöttischen Lachen verwandelt. „Kriegste das nicht hin, was?“ , wirft sie ihm entgegen. „Es reicht!“ sagt er sich. „Halt dein Maul, Halt endlich dein dummes, dummes Maul“, brüllt er sie an.  

 Uta reist die Augen auf. Ihr Rücken krümmt sich, während sie langsam auf Ihn zukommt. Der Zeigefinger, welchen sie ihm an ihrem ausgestreckten Arm entgegenstreckt, zittert. „Was soll das? Wie redest du mit mir? Bist du jetzt völlig bescheuert?“. Den letzten Satz schreit sie ihm ins Auto entgegen.    

In einigen Gärten und hinter einigen Fenstern sind jetzt Leute zu sehen. Der mehrmals heulende Motor und das Gebrüll hat die Nachbarschaft aufmerksam gemacht. „Leck mich.“, sagt Jochen und startet wieder den Motor. Kupplung. Rückwärtsgang. Der Motor jault, aber diesmal bewegt sich der Twingo. Langsam rollt er die steile Auffahrt hinauf. Der Motor heult und aus dem Auspuff kommen krachende Schüsse.  Kurz bevor die Hinterräder über den Sockel fahren, knallt es im Motorraum. Der Motor stirbt langsam vor sich hin. Im letzten Moment kann Jochen noch die Handbremse anziehen um zu verhindern, dass das Auto den Berg wieder hinunterrollt.   

Schwarzer Rauch steigt aus dem Motorraum hoch, es stinkt nach verschmorten Kupplungsbelegen. Jochen lässt seinen Kopf auf das Lenkrad fallen. „So eine Scheiße“, murmelt er mit geschlossenen Augen.  „So eine gottverdammte Scheiße“, brüllt er lauter, richtet sich auf und schlägt mehrmals auf das Lenkrad. „Was ist das? Was ist das für ein Geräusch?“ Er schaut aus dem Frontfenster. Am unteren Ende der Auffahrt, vor dem Garagentor, steht Uta und krümmt sich vor Lachen.  Ihr Zeigefinger ist noch immer auf ihn gerichtet. Diesmal frontal. Jochen kann es nicht fassen. Da steht dieses Miststück vor ihm und lacht ihn aus. Uta hat mitbekommen, dass die ganze Szene jetzt mittlerweile von ein paar Nachbarn beobachtet wir. „Guckt euch das nur an Leute.“, kichert sie laut und hysterisch. „ Guck Euch nur diesen unfassbaren Versager an. Der bringts nicht. Der hat es noch nie gebracht.“ Sie wird noch schriller. Während Jochen versucht, den Motor noch ein letztes Mal zu starten, schwankt Uta, kaum Luft bekommend, in der Einfahrt. „Der Typ ist eine absolute Null. Nicht mal im Bett bekommt der noch einen hoch. 

Diesen Satz vernehmend, wird Jochens Blick starr. Er richtete ihn nach vorne. In dem Moment, indem sein Gehirn auf Modus Rot schaltet, springt auch der Twingo wieder an. Ein schepperndes, klirrendes Geknatter. Diese Geräusche feuern Uta´s Gekeife nur noch mehr an. Sie tanzt kreischend wie ein irrer Derwisch vor dem Tor herum . 

Einen kurzen Moment hält  Jochen inne. Er sieht vor sich einen schwarzen Tunnel an dessen Ende eine widerliche Monstrosität sein Leben und sein Dasein verspottet. Seine Hand liegt auf dem Ganghebel. Kupplung. Gang. Jochen löst die Bremse. GAS!

Es ist still in der Auffahrt.  An dem verbeulten Garagentor steht der Twingo. Zwischen dem Wagen und dem Tor hängt vornübergebeugt Uta. Ihr Kopf ist auf die jetzt rissige Frontscheibe geklatscht. Aus ihrem Mund läuft Blut. Ihr Unterleib ist völlig zerquetscht. Sie rührt sich nicht mehr. Kein Atmen. Jochen liegt vornübergebeugt auf dem Lenkrad. Von seiner Schläfe läuft ebenfalls Blut. Sein Brustkorb hebt und senkt sich unregelmäßig. In Jochens Kopf dreht sich nur ein Gedanke: „Still. Endlich ist sie still.“

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